Eltern werden allein gelassen
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August 2024
Ich habe mit vielen Eltern Kontakt, deren Kinder an ME/CFS erkrankt sind. Diese fühlen sich häufig vom Gesundheitssystem allein gelassen. - Mit Recht, wie ich meine.
Die klassische Situation, in der sich viele Familien zu Beginn einer ME/CFS-Erkrankung befinden, wurde mir so geschildert:
Das Kind ist schlapp und müde und zieht sich (notgedrungen) aus seinem Sozialleben zurück. Eltern merken, dass gesundheitlich etwas nicht stimmt. Nur sehr selten vermuten Eltern zunächst eine psychische Ursache. Diese können in den meisten Fällen ihr Kind so gut einschätzen, dass ihnen klar ist, dass die Ursache körperlicher Art ist. - Dann aber, wenn die Ursachensuche von medizinischer Seite erfolgt, werden viele von ihnen doch unsicher. Zu häufig und zu massiv wird ihrem Kind ein psychischer Krankheitsauslöser zugeschrieben. Also lassen sie auch das Feld von Depression, Schulangst und co vom Fachpersonal abklären, was Kinder mitunter als Verrat empfinden. - Ein schwieriger Balanceakt!
Hier sei zur Beruhigung gesagt, dass das Kind und die Familie - bei dem, was alles auf sie zukommen wird- ohnehin eine gute Psychotherapeutin gebrauchen wird. Frei nach dem Motto: Das Kind hat keine Schulangst, aber Angst vor dem, was auf es zukommt und wie es seine Schmerzen, seine Symptome und sein Leben handhaben soll...
Bis sich ein Arzt gefunden hat, der die Diagnose ME/CFS ausspricht, vergingen früher oft Jahrzehnte. Dank LongCOVID hat sich diese Zeitspanne deutlich verkürzt und die meisten wissen heutzutage nach ein paar Monaten Bescheid, wenn sie sich selber ans Googeln machen. Schon in den letzten drei Jahren haben sich die frei verfügbaren Informationen im Internet vervielfacht. Facharztbesuche, welche Herzschmerzen, kognitive Einbußen, Verdauungsapparat etc. überprüfen ergeben häufig keinerlei Befunde trotz deutlicher Symptomatik. - Eine Situation, bei er man nicht weiß, ob man weinen oder lachen soll.
Dann ist da die Diagnose: endlich! Doch die Erleichterung währt nicht lange, denn dann begreift man, was man sich da eingekauft hat. Und nun stehen die Eltern (und die Ärztinnen eigentlich auch) da und wissen nicht, wie es weiter geht.
Mein Rat wäre, diesen Weg nicht alleine zu gehen. Er wird durch alltiefste Täler führen und es ist gut, wenn man jemanden hat, der immer wieder seine Laterne zur Verfügung stellt um den Weg zu leuchten. - Meines Erachtens ist es hilfreich, wenn diese Person das Krankheitsbild vollumfänglich kennt, z.B. weil sie selbst auch betroffen ist. Natürlich gehen auch gute Freunde derartige Wege mit einem.- Echtes Verständnis kann man von diesen bei diesem mitunter sogar kuriosem Krankheitsbild aber nicht erwarten...
Dementsprechend empfehle ich Selbsthilfegruppen, online- Communities, Buddy oder Coachings, damit man nicht im Sumpf versinkt. Ich selbst habe mich zweimal Coachen lassen. Einmal hätte ich das Geld lieber sparen sollen, ein anderes Mal war es lebensverändernd. Das weiß man leider immer erst hinterher. Aber: wer nicht wagt, der nicht gewinnt...