Da das Krankheitsbild in seiner Symptomatik und Schwere so extrem unterschiedlich auftritt, kann es hier keine allgemeingültigen Lösungen geben. Das Wichtigste erscheint mir, dass es einen wohlwollenden Dialog zwischen Schule und Elternhaus gibt. Ein paar mögliche Ansätze reiße ich hier dennoch an, für weitere Beratung stehe ich gerne zur Verfügung.
Es mag trivial erscheinen, aber in meiner Arbeit als Schulleiterin habe ich erlebt, dass 90% der Konflikte entstehen, da die Kommunikation unzulänglich ist. Setzen Sie nichts voraus und nehmen den Gesprächspartner mit. Im Regelfall können Sie davon ausgehen, dass sowohl Schule als auch Familie das Ziel haben, dem Kind zu möglichst guten Chancen zu verhelfen.
Dass die Symptomatik und das Krankheitsgeschehen an sich nicht verstanden werden, ist Alltag der Betroffenen, davon werden Sie auch hier ausgehen müssen. Das ist aber nicht so schlimm, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Schule und Elternhaus stimmt.
In unserem Grundgesetz ist das Recht auf Teilhabe verankert. Dies ist ein hohes Gut, für ME/CFS Erkrankte allerdings nicht sehr einfach umzusetzen... Schauen wir genauer hin!
Auch in den Schulgesetzen der Länder findet in der ein oder anderen Form immer ein Recht auf individuelle Förderung Platz. Es lohnt sich, diese Grundidee einmal in Gänze zu erfassen. Wie anders müsste Schule aussehen, nähmen wir diese Grundfesten ernst....
Von Schulen würde allerdings auch eine Menge verlangt. Mehr als, nach meiner Überzeugung, bei den knappen Ressourcen machbar ist. - Nun gut. Wir gehen also davon aus, dass auch erkrankte Kinder tatsächlich ein Recht auf adäquate Bildung bei gleichzeitiger Berücksichtigung der individuellen Situation haben. - Und plötzlich schwinden die Probleme und wir suchen Lösungen, die für alle machbar sind...
Dementsprechend gibt es innerhalb des relativ starren Systems Schule auch Möglichkeiten dieses auf individuelle Bedürfnisse anzupassen und wirklich pädagogisch zu agieren. Eines dieser Werkzeuge ist der
Nachteilsausgleich. Beantragt wird dieser durch die Eltern bei der Schulleitung, unter Vorlage entsprechender Atteste. Die Klassenkonferenz berät hierüber. Festgehaltene Maßnahmen sind für alle Lehrkräfte verbindlich.
Ziel ist es hiermit die Benachteiligungen auszugleichen, ohne jedoch die Leistungsanforderungen herab zu setzen. In der Regel beziehen sich Nachteilsausgleiche auf den Umgang mit Leistungsüberprüfungen. Sie können zeitlicher, räumlicher, technischer und personeller Natur sein. Nur in Ausnahmefällen können Aufgabenstellungen modifiziert werden.
Auf meiner
Materialseite können Sie eine Checkliste zur Beantragung eines Nachteilsausgleichs einsehen.
Leicht und mild Erkrankten ist möglicherweise ein Schulbesuch möglich. Gerade bei jüngeren Kindern erscheint mir hier der Einsatz einer Schulbegleitung sinnvoll. Diese können Eltern schriftlich beim Sozialamt beantragen. Es müssen hierzu entsprechende medizinische Bescheinigungen vorgelegt werden und auch das frühzeitige Einbeziehen der Schule ist sicherlich sinnvoll. Kosten entstehen für die Familien hierdurch nicht.
Der Schulbegleiter könnte darauf achten, dass ein Kind nicht in die Überlastung gerät und alle hierzu nötigen Hilfsmaßnahmen vornehmen: Tasche tragen, an Sonnenbrille oder Ohrstöpsel erinnern, zu Pausen ermahnen, Schreibarbeiten übernehmen, Wege begleiten, ...
Ist eine Verbesserung des Gesundheitszustandes absehbar, ist die pädagogische Versetzung eine sinnvolle Maßnahme. Hierzu ist es notwendig, im Vorhinein mit den Klassenlehrkräften in engem Kontakt zu sein und mit ihnen diese Idee zu besprechen. Die Lehrkräfte müssen in der Lage sein, die Steigerung des Zustandes zu ermessen, dann kann die Klassenkonferenz hierüber befinden. Diese Maßnahme ist nur einmal während der Schullaufbahn erlaubt, weshalb sie gut überlegt sein muss. Letztlich würde man einem Kind, was man ohne positive Perspektive einfach in die nächst höhere Jahrgangsstufe nimmt, ohnehin nur den Leistungsdruck erhöhen.- Das ist aber das Letzte, was ein chronisch krankes Kind braucht...
Eine weitere Maßnahme ist die geplante Wiederholung (auf Antrag), welche es zulässt, ein Schuljahr sozusagen auf zwei Jahre zu strecken. Inwieweit das vom Spiralcurriculum her sinnvoll ist, wird an den pädagogischen Fähigkeiten der Lehrkräfte hängen. Letztlich wäre es aber gut möglich -zum Beispiel mit ausgewiesenen Modulen - den Stoff so aufzuteilen, dass auch das Kind seinen Leistungszuwachs wahrnehmen kann.
Im Grunde gingen alle vorigen Maßnahmen davon aus, dass das Kind nur mild erkrankt ist. Bei schwererer Erkrankung erscheint mir ein Schulbesuch zumindest gewagt. Gerade hier befürchte ich die Probleme, denn der Schritt zum Online-Unterricht ist für viele Schulen- vor allem, wenn es um eine so lange Zeit geht- noch wenig denkbar. Eigentlich geht es bei vielen Kindern, die an ME/CFS erkrankt sind, aber nicht anders. - Es gibt hier die Idee der Avatare. Ich habe Zweifel, ob diese aufgrund der immensen Kosten jemals breite Anwendung finden werden. Vielleicht braucht es das aber auch gar nicht, denn ich habe sehr gute Erfahrungen mit herkömmlichen iPads gemacht, welche sich meines Erachtens vergleichbar einsetzen lassen. - Lösung der Probleme ist aber auch diese Variante noch nicht, da hierbei noch immer die Taktung vorgegeben ist, was beim vorliegenden Krankheitsbild extrem ungünstig ist.
Deshalb wäre mein Favorit für moderat und schwer erkrankte Kinder eine Lernplattform mit Remote-Unterricht. So wären die Aufgaben online nach Tagesform zu bearbeiten, Abschlüsse würden ermöglicht und damit Zukunft nicht verbaut. Machbar wäre diese bei viel Engagement auch im herkömmlichen Schulsystem. Rechtlich begründbar mit den oben genannten Gesetzen und Vorgaben. Möglicherweise wäre es dennoch sinnvoll einzelne Stunden in eine spezielle Remote-Schule auszulagern. Hier könnten Lehrkräfte speziell für diese Form des Unterricht fortgebildet werden, es würden sich Peergroups mit Kindern vergleichbarer gesundheitlicher Problematik bilden lassen, Krankheitsbewältigung könnte (z.B. anstelle von Sport) in den Lehrplan aufgenommen werden.- Da ließe sich einiges machen...