
ME/CFS- Die Geschichte hinter der Erkrankung
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May 2025
Von Fehldiagnosen bis zum Paradigmenwechsel
ME/CFS – das steht für Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue-Syndrom. Eine schwere chronische Krankheit, die weltweit Millionen Menschen betrifft. Und trotzdem ist sie bis heute vielen noch unbekannt oder wird nicht ernst genommen.
In diesem Artikel werfen ich einen Blick zurück: Wie konnte es passieren, dass eine so lebensverändernde Erkrankung jahrzehntelang übersehen wurde? Und was ändert sich gerade – hoffentlich zum Besseren?
1. Eine Krankheit mit vielen Namen – und noch mehr Missverständnissen
Schon im 19. Jahrhundert beschrieben Ärzt:innen Fälle von extremer Erschöpfung, die sich durch Ruhe nicht besserte. Damals sprach man von „Nervenschwäche“ oder „Neurasthenie“ – meist bei Frauen diagnostiziert.
In den 1950er Jahren sorgte ein Ausbruch am Lake Tahoe (USA) für Aufmerksamkeit: Zahlreiche Menschen erkrankten plötzlich schwer – mit Symptomen wie starker Erschöpfung, Schmerzen, grippeähnlichen Beschwerden und kognitiven Problemen.
Doch anstatt nach den Ursachen zu forschen, wurde die Erkrankung als Massenhysterie abgetan. Dieses Stigma haftet ME/CFS bis heute an.
2. CFS, ME, SEID – Was denn nun?
Die vielen Bezeichnungen verwirren – und haben dazu beigetragen, dass ME/CFS lange nicht ernst genommen wurde.
- „Chronic Fatigue Syndrome (CFS)“ – der Begriff entstand in den 1980ern und reduziert das Leiden auf „chronische Müdigkeit“.
- „Myalgische Enzephalomyelitis (ME)“ – diese Bezeichnung betont den neurologischen Aspekt.
- „SEID“ (Systemic Exertion Intolerance Disease) wurde später als neutralerer Name vorgeschlagen, hat sich aber nie durchgesetzt.
Das Problem: Kein Name trifft die Komplexität der Erkrankung wirklich. Und: Viele Betroffene wurden jahrzehntelang falsch diagnostiziert – oft als depressiv, faul oder „psychosomatisch krank“.
3. Jahrzehnte der Fehleinschätzungen
Wer an ME/CFS erkrankt, erlebt oft einen langen Leidensweg. Viele berichten, dass sie jahrelang bis jahrzehntelang keine Diagnose erhielten – oder auf Therapien gesetzt wurden, die sogar vden Gesundheitszustand verschlechtert haben.
Ein Beispiel ist die sogenannte PACE-Studie aus Großbritannien, die Verhaltenstherapie und Sport empfahl. Viele Fachleute übernahmen diese Empfehlungen – obwohl körperliche Belastung bei ME/CFS zu einer deutlichen Verschlechterung führen kann (sogenannte Post-Exertional Malaise, PEM). Noch immer ist es so, dass zwar viele Rehakliniken ME/CFS im Portfolio stehen haben, dass Krankheitsbild dort aber dennoch nicht vollumfänglich von Personal verstanden wird.
Bis heute kämpfen also noch immer Patient:innen gegen das Vorurteil, ME/CFS sei „nur Kopfsache“. Dabei zeigen neue Forschungen das Gegenteil.
4. Long COVID bringt Bewegung
Erst durch die Corona-Pandemie kam ein Umdenken in Gang. Viele Menschen mit Long COVID zeigen die gleichen Symptome wie ME/CFS-Betroffene – oft nach einer COVID-Infektion, aber auch nach anderen Infekten.
Endlich wurden Gelder für Forschung bereitgestellt. Und siehe da: Erste Studien zeigen deutliche Veränderungen
- im Energiestoffwechsel,
- im Immunsystem,
- in der Durchblutung des Gehirns.
Das alles bestätigt: ME/CFS ist eine körperlich messbare Erkrankung.
5. Es bewegt sich etwas – aber noch zu langsam
Die gute Nachricht: Inzwischen erkennen medizinische Leitlinien ME/CFS als schwere organische Erkrankung an. Auch in Deutschland gibt es seit 2023 eine neue S3-Leitlinie, die sich klar gegen veraltete Behandlungsansätze stellt.
Aber: Die Versorgungslage ist nach wie vor schlecht. Es gibt kaum spezialisierte Anlaufstellen, kaum wirksame Therapien – und viel zu wenig Forschung.
Für viele Betroffene bleibt der Alltag ein täglicher Kraftakt – oft im Stillen, oft vergessen.
6. Warum wir über diese Geschichte sprechen müssen
Die Geschichte von ME/CFS ist auch ein Lehrstück.
Sie zeigt, wie wichtig es ist, zuzuhören. Symptome ernst zu nehmen. Und bestehendes Wissen immer wieder zu hinterfragen.
Der Paradigmenwechsel ist da. Jetzt braucht es mehr:
- Mehr Aufklärung,
- mehr Forschung,
- mehr Empathie –
damit sich die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen.
Kinderärzte kommentieren den elterlichen Verdacht noch immer mit "Ich glaube nicht an Long-Covid bei Kindern und Jugendlichen.", Psychologen raten zu körperlicher Aktivierung, um der Depression beizukommen (was diese sehr wahrscheinlich verstärken wird, wenn der Betroffne aufgrund von ME/CFS dann körperlich in einen noch schlechteren Zustand rutscht), Gesundheitscoaches adressieren das Mindset der Betroffenen (Warum wird bei gebrochenen Beinen so wenig an die Selbstheilungskräfte appelliert?), Fachpersonal kritisiert die "aggressive" Community der Erkrankten.
- Immer wieder wird vergessen, dass eine Erkrankung sehr wohl körperlich sein kann, auch wenn diese unsichtbar ist und dass eine stabile Psyche sicherlich hilfreich bei diesem Krankheitsbild ist/ wäre, es aber extrem schwierig ist, diese zu halten, wenn einem das eigene Leben gerade um die Ohren fliegt. -Ist nicht auch von Ertrinkenden bekannt, dass diese ihre Retter nicht unbedingt freudig begrüßen? Kann das nötige Fachverständnis tatsächlich nicht auf Seiten der Psychologie erwartet werden?
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