
Schulische Inklusion bei ME/CFS: Herausforderungen erkennen, Teilhabe ermöglichen
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April 2025
Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) ist eine schwerwiegende neuroimmunologische Erkrankung, die mit einer anhaltenden körperlichen Erschöpfung einhergeht, die durch Ruhe nicht gebessert wird und durch Anstrengung verstärkt werden kann (postexertionelle Malaise, PEM). Kinder und Jugendliche mit ME/CFS erleben erhebliche Einschränkungen in allen Lebensbereichen, besonders im schulischen Kontext. Hiermit möchte ich versuchen pädagogischen Fachkräften ein grundlegendes Verständnis für ME/CFS zu vermitteln und konkrete Ansätze für inklusive schulische Praxis aufzuzeigen.
1. Krankheitsbild verstehen
ME/CFS ist durch eine Vielzahl von Symptomen gekennzeichnet, darunter:
-Postexertionelle Malaise (PEM): Verschlechterung der Symptome nach körperlicher oder kognitiver Anstrengung
-Schwere Fatigue, nicht durch Schlaf oder Ruhe linderbar und nicht mit "Müdigkeit" zu verwechseln
-Kognitive Beeinträchtigungen ("brain fog")
-Schlafstörungen
-Orthostatische Intoleranz (z. B. Kreislaufprobleme beim Sitzen oder Stehen)
-Schmerzen (Muskeln, Gelenke, Kopfschmerzen)
Die Symptome schwanken tagesformabhängig und sind oft unsichtbar, was zu Missverständnissen führen kann. ME/CFS ist keine psychische Erkrankung, sondern eine körperliche, organisch bedingte Erkrankung mit klaren pathophysiologischen Befunden.
2. Besonderheiten im Schulkontext
Schüler:innen mit ME/CFS können in ihrer Leistungsfähigkeit stark eingeschränkt sein. Typische schulische Herausforderungen sind:
-Unregelmäßiger Schulbesuch oder Fernbleiben vom Präsenzunterricht
-Erschöpfung nach kurzen Lernphasen
-Konzentrations- und Gedächtnisprobleme
-Längere Regenerationsphasen nach Anstrengung
In einer schulischen Umgebung, die auf durchgehende Anwesenheit, Leistungsabfrage und Aktivität ausgerichtet ist, geraten betroffene Schüler:innen schnell ins Hintertreffen. Fehleinschätzungen – etwa eine Annahme von "Faulheit" oder mangelnder Motivation – verschärfen die Belastung und können sekundäre psychische Probleme auslösen.
3. Handlungsempfehlungen für die schulische Praxis
Individuelle Förderplanung:
-Erstellung eines Nachteilsausgleichs auf Grundlage ärztlicher Atteste
-Flexibilität bei Aufgabenstellungen, Abgabefristen und Leistungsnachweisen
-Reduzierter Stundenplan in Abstimmung mit Familie und Schulaufsicht
Kommunikation und Kooperation:
-Enge Zusammenarbeit mit Eltern, Ärzt:innen, Therapeut:innen und Schulpsychologie
-Vertrauensvolle Beziehungsgestaltung mit dem Kind bzw. Jugendlichen
Alternative Lernformen:
-Ermöglichung von Online-Unterricht oder asynchronem Lernen (z. B. über Lernplattformen)
-Einsatz von Lernvideos, Podcasts und audiovisuellen Materialien
-Nutzung von Lernbegleitung (z. B. durch Schulassistenz, Nachhilfe)
Schonung und Pacing:
-Anerkennung individueller Belastungsgrenzen (zwingend!)
-Integration von Ruhepausen im Schulalltag
-Vermeidung von Überforderungssituationen, auch bei Leistungsnachweisen
Sensibilisierung im Kollegium:
Fortbildungen über ME/CFS im Schulteam
Aufklärung über chronische Erkrankungen und invisible disabilities
Fazit
Inklusion bedeutet, dass alle Kinder und Jugendlichen in ihrer Individualität gesehen und unterstützt werden. Bei ME/CFS erfordert dies ein hohes Maß an Empathie, Fachwissen und Flexibilität seitens der Schule. Mit einer wertschätzenden Haltung, einer offenen Kommunikation und einem individuellen Blick auf Möglichkeiten statt Defizite kann Teilhabe trotz chronischer Erkrankung gelingen.
Weiterführende Informationen und Materialien:
Deutsche Gesellschaft für ME/CFS (https://www.mecfs.de)
Fatigatio e.V. Bundesverband ME/CFS
Schulportal für chronisch kranke Kinder: www.schulbegleitung.de
Hinweis: Dieser Artikel dient der Information und ersetzt keine medizinische Beratung.