Umgang mit PEM: Crashs vermeiden und Dips reduzieren

Umgang mit PEM: Crashs vermeiden und Dips reduzieren

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May 2025

Wenn wir bei ME/CFS den Kopf wieder dauerhaft oben haben wollen...

Einleitung

ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue-Syndrom) ist eine schwere neuroimmunologische Erkrankung, bei der Post-Exertional Malaise (PEM) als zentrales und namensgebendes Symptom gilt. PEM bezeichnet eine disproportionale und oft verzögerte Verschlechterung der Symptome nach körperlicher, kognitiver oder emotionaler Belastung. Ziel dieses Artikels ist es, konkrete, fachlich fundierte Strategien aufzuzeigen, wie PEM-Episoden – sogenannte Crashs – vermieden oder zumindest abgemildert werden können.

Dabei wird auch deutlich: Für viele Menschen mit einem leichten bis moderaten Schweregrad ist ein symptomarmes Leben durchaus möglich – durch konsequentes Management.

Was ist PEM und warum tritt es auf?

PEM ist mehr als Erschöpfung: Es handelt sich um eine pathologische Reaktion des Körpers auf Reizüberflutung, die mit Störungen des Energiestoffwechsels, des autonomen Nervensystems und der Immunregulation zusammenhängt. Studien zeigen unter anderem:

  • Eine gestörte zelluläre Energiegewinnung (z. B. mitochondrialer Dysfunktion)
  • Chronische Entzündungsprozesse (z. B. erhöhte Zytokin-Level)
  • Dysfunktion der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (HPA-Achse)
  • Abnormale Durchblutung des Gehirns bei Belastung

Das Resultat: Nach scheinbar kleiner Aktivität (z. B. Duschen oder 10 Minuten Lesen) kann es zu einem verzögerten, teils tagelangen Crash kommen.

Ziel: Crash-Prävention durch Pacing & Selbstbeobachtung

Der Grundpfeiler jeder PEM-Vermeidung ist das Prinzip des Pacing – ein aktives Energiemanagement mit dem Ziel, Belastungsspitzen zu vermeiden und innerhalb der Energiegrenze zu bleiben.

1. Die persönliche Energiegrenze erkennen

  • Symptomtagebuch führen: Was löst Rückschläge aus? Wie schnell nach der Aktivität?
  • Belastungstracking per App oder Smartwatch: Herzfrequenz (HF), HF-Variabilität und Schlafqualität geben Hinweise auf Überlastung.
  • Anzeichen frühzeitig wahrnehmen: Konzentrationsschwäche, Gereiztheit, Muskelzittern, Frieren oder „Gehirnnebel“ können Frühwarnzeichen für PEM sein.

2. Das 80/20-Prinzip anwenden

Eine praktische Faustregel: Plane Aktivitäten so, dass du nie mehr als 80 % deiner maximalen Kapazität ausschöpfst – die restlichen 20 % dienen als Puffer.

3. Crash-Zonen vermeiden durch aktive Pausen

Statt lange aktiv zu sein und dann zu „kollabieren“, lieber regelmäßig Pausen einbauen – auch vor dem Auftreten von Symptomen.

  • Alle 20–30 Minuten 5–10 Minuten Pause (bei leichten Formen)
  • Bei schweren Verlaufsformen: Time-Based Pacing (z. B. 10 min wach, 20 min liegen)

Praktische Strategien für den Alltag

Kognitive Dips verhindern:

  • Reizreduktion: Blaulichtfilter, leise Umgebungen, "Ein-Aufgabe-gleichzeitig"-Prinzip
  • Aufgaben "portionieren": Statt 30 Minuten am Stück lesen, lieber in 3x10 Minuten mit Pausen
  • „Denkpausen“ nach Gesprächen oder Medienkonsum

Körperliche Energie sparen:

  • „Energy envelope“-Strategie: Hilfsmittel nutzen (Rollstuhl, Duschstuhl), auch wenn es „noch ohne geht“
  • „Aktivität aufteilen“: Duschen, Zähneputzen, Haarewaschen auf verschiedene Tage verteilen
  • Temperaturmanagement: Wärmflasche, kühle Räume, atmungsaktive Kleidung helfen bei Dysautonomie

Emotionale Trigger entschärfen:

  • Stress ist körperliche Belastung: Soziale Interaktion, Angst und Aufregung können PEM auslösen
  • Selbstfürsorge-Routinen: Meditation, Musik, Atemtechniken, Achtsamkeit – aber dosiert!
  • Psychoedukation: Verständnis im Umfeld reduziert Schuld- und Rechtfertigungsdruck

Technologie als Unterstützung

  • Herzfrequenz-Monitoring: Geräte wie WHOOP, Oura Ring oder Polar können helfen, Frühwarnzeichen zu erkennen.
  • Apps wie „ME/CFS Diary“ oder „Pace My Day“: Aktivitäts- und Symptomüberwachung
  • Reminder-Tools: Timer für Pausen oder zur Begrenzung von Aktivitätsphasen

Akute Crash-Phase: Was tun, wenn es passiert?

Wenn PEM eintritt, hilft nur eins: Rückzug und Regeneration. Maßnahmen:

  • Sofortige körperliche Schonung – idealerweise im Liegen
  • Reizabschirmung (Augenbinde, Ohrstöpsel)
  • Flüssigkeit & Elektrolyte, ggf. Infusionen bei ärztlicher Betreuung
  • Keine Selbstvorwürfe: Jeder Crash ist ein Lernmoment – kein Versagen

Fazit: Leben mit ME/CFS heißt vorausschauend handeln

ME/CFS lässt sich derzeit nicht heilen – aber managen. Der Schlüssel liegt in der konsequenten Vermeidung von PEM durch Selbstbeobachtung, Pacing und Lebensstil-Anpassungen. Je weniger Crashs auftreten, desto stabiler kann sich der Gesundheitszustand einpendeln.

Für viele mit leichtem oder moderatem Verlauf ist ein aktives, wenn auch angepasstes Leben möglich. Nicht durch Ignorieren der Grenzen – sondern durch das intelligente Arbeiten mit ihnen.

Literatur & Quellenhinweise (Auswahl)

  • Institute of Medicine (2015): Beyond Myalgic Encephalomyelitis / Chronic Fatigue Syndrome: Redefining an Illness
  • VanNess et al. (2010): Postexertional malaise in women with chronic fatigue syndrome
  • MEAction & Bateman Horne Center: Pacing Guides for Patients and Clinicians

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